04

Ausbildung und berufliche Bildung

13. Erasmus++

Europa braucht eine neue Renaissance, die auf Bildung, Wissenschaft und Innovation basiert und von mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern umgesetzt wird. Das zentrale Ziel muss dabei die Ausweitung der europäischen Austauschprogramme auf alle Bildungswege sein. Die berufliche Bildung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Doch auch das lebenslange Lernen bietet viel Potenzial.

Das Programm „Erasmus+“ muss gerade für Auszubildende weiter ausgebaut werden. Mittelfristiges Ziel ist eine europäische „Bildungsfreizügigkeit“. Junge Menschen sollen einzelne Abschnitte ihres Bildungsweges im Ausland beschreiten und auch im Laufe ihres Berufslebens noch „Europäische Bildungsbausteine“ in ihr Portfolio einbauen können. Deutsche Berufsbezeichnungen, die sich durchgesetzt haben, können durch die Einordnung in den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) präzisiert werden. Über Stipendien auch und gerade für ärmere Studierende und Auszubildende muss sichergestellt werden, dass europäische Bildung der Motor für Chancengerechtigkeit und sozialen Aufstieg ist.

14. Zukunftstechnologien auf den Lehrplan

Die duale berufliche Bildung fußt auf zwei großen Säulen. Auf der einen Seite werden theoretische Inhalte in der Berufsschule vermittelt. Auf der anderen Seite steht der Ausbildungsbetrieb, der die Azubis an praktische Tätigkeiten heranführt. Die Verzahnung von Theorie und Praxis ist eine Erfolgsgeschichte, um die das Ausland Deutschland beneidet. Die digitale Revolution, und insbesondere der Anbruch des KI-Zeitalters, transformiert die gesamte Wirtschaft in ganzer Breite und mit hoher Intensität. Nicht nur in Studiengängen müssen digitale Inhalte (Beispiel „Legal Tech“) verbindlich integriert werden, sondern auch und gerade in der beruflichen Bildung.

Neben Berufsschule und Ausbildungsbetrieb sollten Zukunftstechnologien auf den Lehrplan gesetzt werden. Ein Teil der Ausbildung könnte beispielsweise in Unternehmen stattfinden, die an der Speerspitze der digitalen Revolution stehen. Außerdem sollte es Ausbildungszentren geben, an denen die Auszubildenden in der Praxis mit modernen Fertigungsverfahren „üben“. Denn deutsche Unternehmen werden im globalen Wettbewerb nur bestehen können, wenn sie auf der digitalen Welle segeln können – dazu braucht es ausgebildete Fachkräfte, für die Zukunftstechnologien bereits Teil der Ausbildung waren.

15. Dualisierung und Zweites Bildungssystem

Die Grenze zwischen beruflicher und akademischer Bildung wird in der Zukunft immer weiter verwischt werden. Bereits vor sieben Jahren hat der Soziologe Michael Handel herausgefunden, dass die sogenannten „blue collar workers“ in der Praxis mehr Mathematik anwenden, als ihre Kolleginnen und Kollegen im Büro. Gleichzeitig hat sich das duale Studium als auch von privatwirtschaftlicher Initiative getragenes Erfolgsmodell entwickelt.

In jedem Bildungsabschnitt sollen Theorie und Praxis stärker miteinander verzahnt werden. In der Schule können dies beispielsweise Praktika und Projektwochen sein, die mit regionalen Unternehmen durchgeführt werden. An manchen Gymnasien ist es zudem möglich, neben der Allgemeinen Hochschulreife einen Gesellenbrief zu erhalten und die ersten Schritte zum Meisterabschluss zu gehen. Auch das lebenslange Lernen muss gestärkt werden. Neben dem ersten Bildungssystem muss ein zweites stehen, welches Fort- und Weiterbildung auch neben Beruf und Familie ermöglicht.

16. Hochschulen als Innovationsmotor

Ob im kalifornischen Silicon Valley oder im englischen Silicon Fen: Hochschulen sind ein Innovationsmotor.9 In Deutschland wird das Potenzial aber zurzeit kaum genutzt, Initiativen wie UnternehmerTUM der Münchner Uni bleiben die Ausnahme.

Um das Potenzial, das in vielen Hochschulen schlummert, rasch und in voller Breite aufzuwecken, muss ein Ruck durch die deutsche Bildungslandschaft gehen. Es gilt Anstellungsbedingungen, Beteiligungsformen am Ertrag geistigen Eigentums und Möglichkeiten zur Mitarbeit bei der Umsetzung von Wissen in der Praxis von starren Regeln vergangener Zeiten zu entfesseln. Nur mit mehr Freiheiten für alle Beteiligten wird ein umfassender Transfer von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte machbar sein.

Kooperationen zwischen Wirtschaft und Hochschulen müssen erleichtert werden. Start- Ups, die im Dunstkreis der Hochschulen entstehen, soll leichter Zugriff auf Risikokapital ermöglicht werden. Auch öffentliches Geld von staatlichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollte dabei investiert werden dürfen. Ebenso sollten Studiengänge verstärkt Zukunftstechnologien berücksichtigen und hierfür eng und unbürokratisch mit privaten Forschungseinrichtungen und High-Tech- Firmen kooperieren dürfen. Ein Beispiel ist Legal Tech im Jurastudium, ein anderes Digital Health im Medizinstudium. Außerdem muss die Einheit von Forschung und Lehre neugedacht werden. Hochschulen, ebenso wie einzelne Hochschullehrkräfte, sollten in die Lage versetzt werden, sich für die Lehre als Schwerpunkt zu entscheiden, gleichzeitig sollten Spitzenakademien und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sich noch gezielter auf die reine Forschung konzentrieren können.

17. Mehr Autonomie für Hochschulen

Die Einheit von Forschung und Lehre war kein Kernbestandteil des Humboldt‘schen Ideals, sondern vielmehr das Ergebnis der düsteren Finanzlage deutscher Fürstentümer in der Frühen Neuzeit. Es bricht somit nichts auseinander, was genuin zusammengehört, wenn das Konzept überdacht und an das 21. Jahrhundert angepasst wird. Die Digitalisierung bietet unvorstellbare Möglichkeiten, orts- und zeitunabhängig, universitäre Studiengänge und akademischen Bildungsprogramme zu nutzen. Fernstudium ermöglicht jederzeit, rund um die Uhr einen maßgeschneiderten Zugang zum Wissen der klügsten Gelehrten und deren feinsten und besten Ideen. Für die klassische Präsenzuniversität, deren Lehrangebote zu fixen Zeiten an festen Orten vorgetragen oder im schlechtesten Fall vorgelesen werden, ist dies eine große Herausforderung. Es gilt, die Humboldt’schen Ideale in Einklang zu bringen mit der Wirklichkeit von Digitalisierung und Datenwirtschaft des 21. Jahrhunderts.

Emanzipation ist auch hier das Leitwort: Hochschulen – ausdrücklich auch die privaten Hochschulen – benötigen Freiräume, um über ihr Profil selbst zu entscheiden. In manchen Fällen kann es attraktiver sein, die begrenzen Ressourcen auf spezielle forschungsorientierte Lehrangebote für den eigenen Nachwuchs zu konzentrieren. Zentrale Planung hilft hier wenig, denn keiner weiß, was in 10 Jahren ist – der Staat kann allerdings die Voraussetzungen schaffen, dass jede Hochschule ihren eigenen Weg gehen kann.

Die Grundfinanzierung der Hochschulen muss verbessert werden. Außerdem sollte es unterschiedliche Finanzierungswege für Lehre und Forschung geben. Bildungsgutscheine, staatlich finanzierte Spitzenforschung sowie Stiftungen und institutionelle Kooperationen müssten Hand in Hand gehen, um einen sinnvollen Mix aus Planungssicherheit und Wettbewerbsanreizen zu erzeugen. Die Bildungsrendite von Studiengängen kann außerdem zusätzliche Transparenz bei der Allokation von Ressourcen schaffen und Studierende bei der Fächerwahl unterstützen.

18. Wissenschaftsfreiheit schützen

Wissenschaft und Freiheit bedingen sich. Wenn es um Innovationskraft und technische Lösungen geht, ist die Verbindung allerdings deutlich schwächer. Deutschland steht nicht nur in freundschaftlicher Konkurrenz mit demokratischen Ländern, sondern muss sich auch in einem neuen Systemwettbewerb behaupten. Deswegen müssen der Schutz der Wissenschaftsfreiheit und die Distanz gegenüber autoritären Systemen fest in der Hochschulpolitik verankert sein. Dabei geht es nicht nur um die Unabhängigkeit gegenüber ausländischen Staatsmonopolen, sondern ebenso gegenüber privaten Monopolen marktbeherrschender Big Tech Giganten.

Wo sich Universitäten auf Kooperationen mit Universitäten aus autoritär geführten Ländern oder gar Diktaturen einlassen, ist äußerste Vorsicht geboten – eine freie Universität sollte keinen Gerichtsstand außerhalb rechtsstaatlicher Grenzen akzeptieren und Verfahren ablehnen, die deutschen Standards nicht genügen. Besondere Beachtung verdient dabei die Zusammenarbeit von Wissenschaftseinrichtungen der Demokratien. Wo sich die Universitäten demokratischer Länder zu Forschungs- und Kooperationszwecken zusammenschließen wollen, verdienen sie besondere Unterstützung.